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Buchvorstellung:
Katharina Saalfrank
Was unsere Kinder brauchen
Emotionale Erfahrungen ermöglichen
Da Kinder in diesem Alter ihren Bedürfnissen zumeist sprachlich noch nicht definiert Ausdruck verleihen können und es für sie eine große Frustration und eine emotionale Überforderung darstellt, wenn sie ihr Ziel nicht erreichen, können sie diesen Gefühlszuständen zunächst nur mit mit Weinen, Schreien und sich-auf-dem-Boden-werfen begegnen. Sie zeigen also jene Reaktionen, die wir Erwachsenen als „Trotzverhalten“ wahrnehmen. Wir können uns das an einem typischen Beispiel verdeutlichen: Das Kind will ein Eis! Wird es dann bei der Umsetzung seines Vorhabens (Kind läuft in die Eisdiele)gebremst oder unterbrochen, so erhält das Kind eine für es selbst in diesem Moment nicht vorhersehbare Veränderung. In dem die Eltern sagen: „ Nein, es gibt jetzt kein Eis!“ wird es auf eine altersgemäße Starrheit zurückgeworfen. Es kann noch nicht anders, weil es für solche Situationen noch keine Handlungsalternativen entwickelt hat. So passiert Folgendes: Das Kind wird sehr schnell von Wut und Ärger gepackt und von diesen Gefühlen in bisher unbekannter Vehemenz komplett überflutet und letztlich überwältigt. Es ist emotional total überfordert. Aus dieser Überforderung heraus gerät das Kind nun in einen merkwürdigen Zustand zu einem emotionalen Kurzschluss. Man könnte auch sagen Das Kind sieht rot. Totale Überforderung! Error! Nichts geht mehr! Man kann das durchaus mit einer Form von Nervenzusammenbruch vergleichen. Das Kind braucht in der Autonomiephase besondere emotionale Unterstützung! Wie eben können wir unsere Kinder in ihrer Autonomieentwicklung achtsam begleiten und unterstützen, damit sie viel ausprobieren, vielfältige Erfahrungen machen und neue Alternativen für das eigene Handeln entwickeln können, ohne ständig überfordert zu sein?
Sophia vier Jahre alt, gerät immer wieder mit ihrer Mutter Morgens beim Anziehen in Streit. „ Was willst du denn heute anziehen?,“ fragt die Mutter. „Schau mal, können diese Hose nehmen und das rosa Oberteil oder das hier mit dem Ponny drauf oder lieber den Pulli?“ Sophia steht vor dem Schrank und schaut unentschlossen. „Oder ein Kleid?“, fragt die Mutter in der Hoffnung, das Sophia sich nun entscheidet! „Nein, ich weiß nicht….das hier vielleicht“, sagt Sophia und zieht ein Top aus dem Stapel ganz unten heraus, so das die T-Shirts aus dem Schrank fallen. „Sei doch vorsichtig,“ ruft ihre Mutter ungeduldig, „Nein, das können wir nicht anziehen, Sophia,“ sagt sie dann es ist draußen viel zu kalt für das Top.“ - „Oh, ich will aber“, ruft Sophia und verschränkt entschlossen die Arme vor der Brust. Ihre Mutter seufzt und sagt dann schließlich: „Dann ziehen wir jetzt das mit dem Ponny an, ja?!“ „Nein!“Schreit Sophia. „Das will ich nicht, ich will das hier“, sie hält das Top hoch „Nein“, sagt die Mutter, „Schluss jetzt mit dem Teater, jetzt wird das Oberteil mit dem Ponny angezogen!“ Sophia begint zu schreien und schmeißt sich vor dem offenen Kleiderschrank.
Wie können Eltern solche zermürbenden Machtkämpfe vermeiden? Sophias Mutter probiert nun anders:
Sie hat der Jahreszeit angemessene Kleidung schon am Abend rausgesucht und zwei verschiedene Varianten auf den kleinen Stuhl neben dem Bett gelegt. „Nein“, schreit Sophia,“Ich das nicht anziehen!“ „Das haben wir zur Auswahl. Was möchtest du?“ Sophia schaut entschlossen und grimmig auf die Kleiderauswahl. „Such dir was aus, und wenn du beim beim Anziehen Hilfe brauchst, kannst du mich gerne rufen“, sagt die Mutter freundlich und verlässt das Zimmer. „Ich nehme das mit dem Ponny drauf. Mama“, ruft Sophia einigen Minuten über den Flur. „Wie schön, dann komm gleich zum Frühstück, wenn du fertig bist, ich warte auf dich“, antwortete ihre Mutter.
Sophia möchte sich selbst entscheiden. Wenn ihre Mutter bestimmt, was sie anziehen soll, wird die Vierjährige in ihrem Bedürfnis nach Autonomie unnötig beschnitten. Ihre Mutter eröffnet außerdem so einen Machtkampf, der niemandem weiterhilft. Stellt ihre Mutter ihr den gesamten Inhalt des Kleiderschrankes zur Auswahl, ist Sophia damit überfordert. Die Mutter kann aber zwei verschiedene Kleidungsvarianten im Voraus heraussuchen und dann ihr Tochter selbst entscheiden lassen. Sophia hat damit einen ihrem Alter angemessenen Raum für eine eigene Entscheidung zur Verfügung.
Für eine gute Begleitung der Kinder in der Autonomiephase ist ist es also wesentlich, dass wir einerseits ihr vehementes Streben nach mehr Unabhängigkeit ernst nehmen und anderseits vielfältig kindgerechte Möglichkeiten für eigene Erfahrungen schaffen.